Lust und Leid beim Fahrradfahren

Berlin – Radfahren im Straßenverkehr kann gefährlich sein, also besser darauf verzichten? Auf der anderen Seite ist es ziemlich angesagt, also lieber machen?

Je schöner das Wetter Anfang Juni wird, desto mehr Radfahrer stehen vor allem in großen Städten wie Berlin, München und Hamburg vor den Ampeln.

Eine kleine Liste Pro und Contra:

– Gesundheit: Radfahren hält fit. Und dazu muss man nicht mal besonders sportlich sein, bereits kurze Strecken haben eine Wirkung. «Schon mit der ersten Sekunde des Radfahrens wird die Durchblutung der Muskeln und Organe angeregt, genau wie der Stoffwechsel sowie Herz und Kreislauf, das Immunsystem wird aktiviert», sagt
Ingo Froböse, Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Zudem könne Radfahren «ein Ausgleich für Stress» sein. Radeln stärkt Knochen und Koordination. Gelenkfreundlich ist es auch, das Knie baut Muskulatur auf und wird so stabiler.

– Gefahr: Anfang April stellte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club seinen «Fahrradklima»-Test vor. Etwa 170 000 Menschen hatten Fragebögen ausgefüllt. Der Test ist nicht repräsentativ, gilt aber als Stimmungsbarometer. Den Angaben zufolge fühlen sich die Teilnehmer immer unsicherer beim Radfahren: Note 4,2 gegenüber 3,9 im Jahr 2016. Das Gefühl der Gefahr ist real: 2018 kamen nach vorläufigen Angaben des
Statistischen Bundesamts 445 Radfahrer auf Deutschlands Straßen ums Leben, im Januar dieses Jahres waren es demnach 29. Zahlen für das erste Quartal liegen noch nicht vor. Einer der Gründe: Immer mehr Radfahrer müssen sich mit Auto- und Lkw-Fahrern den knappen Platz auf den Straßen teilen – vor allem in den Städten. Auch Radfahrer selbst verhalten sich manchmal rücksichtslos und können so für andere Radfahrer gefährlich werden.

– Glück: «Man ist draußen in der Natur, erreicht Orte, an die man sonst nicht hinkommt», sagt Sportwissenschaftler Froböse. «Geräusche, Gerüche und Geschwindigkeit werden unmittelbar empfunden.» Gerade längere Fahrten könnten dazu führen, dass Glückshormone ausgeschüttet werden. Wenn dann noch die Sonne scheint, die Reifen über den Asphalt surren, die Kette geschmeidig über die Ritzel springt – viel besser kann es für manchen Radler nicht mehr werden. Sebastian Herrmann beschreibt in seinem Buch «Gebrauchsanweisung fürs Fahrradfahren» ein «Gefühl von Autonomie und Freiheit». Für ihn ist das Rad «eine Escape-Taste, eine, die Fenster zur Welt öffnet», «eine Form der mobilen Meditation». Ein Radler kann häufig lässig am Stau im Berufsverkehr vorbei rollen – mit einem Gefährt, von dem viele verblüfft sind, «dass etwas derart Simples und Naheliegendes (…) nicht schon sehr viel früher erfunden worden war».

– Geschmack: Wie sieht das denn aus, mit Helm fahren? So denken immer noch viele Radfahrer. Das Bundesverkehrsministerium stellte kürzlich fest, der Kopfschutz gelte als «unpraktisch, unbequem und unästhetisch». Von Radfahrenden zwischen 17 und 30 Jahren trügen lediglich acht Prozent einen Helm. Die Behörde machte mit einer umstrittenen
Kampagne Schlagzeilen. Der Titel lautete: «Looks like shit. But saves my life.» – auf Deutsch: «Sieht scheiße aus. Aber rettet mein Leben.» Nicht nur der Helm nervt viele, auch dass man verschwitzt bei der Arbeit ankommen könnte, wird oft als Minuspunkt angeführt.

– Gewissen: Wer radelt, schont die Umwelt, verbraucht weniger Platz und macht weniger Lärm. Ein mit Muskelkraft betriebenes Fahrrad stößt keinerlei Kohlendioxid aus, ein Auto produziert laut
Umweltbundesamt durchschnittlich 139 Gramm an Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan pro Personenkilometer (zurückgelegte Kilometer multipliziert mit der Zahl der Reisenden). «Für viele Wege in der Stadt ist das Fahrrad eine prima Lösung», sagt Katrin Dziekan, Fachgebietsleiterin Umwelt und Verkehr beim Umweltbundesamt. «Fast jeder zehnte mit dem Auto in der Stadt zurückgelegte Weg ist kürzer als ein Kilometer, 20 Prozent sind kürzer als zwei Kilometer. Das ist viel Potenzial fürs Rad.» Der Blogger
Martin Randelhoff gibt an, dass etwa acht Fahrräder auf einem Parkplatz abgestellt werden können.

– Gezerre: Wer mehr Raum fürs Fahrrad will, muss anderen etwas wegnehmen. Ohne Konflikte wird dieser Verteilungskampf nicht ablaufen. «Wenn wenig Platz ist und viele Menschen sich eine Infrastruktur teilen müssen, dann kommt es natürlich zu Drängeleien und zu einem erhöhten Stresslevel und vielleicht auch zu mehr Aggressivität, nicht nur unter Fahrradfahrenden, sondern insbesondere auch mit anderen Verkehrsteilnehmenden», sagt Dziekan, die Verkehrsplanerin und Psychologin ist. Laut
Kraftfahrt-Bundesamt gibt es etwa 47 Millionen Autos in Deutschland, die Zahl der Fahrräder erreicht nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands 75,5 Millionen – davon sind 4,5 Millionen E-Bikes.


(dpa)

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