Zerkratzter Stolz: Mercedes-Schwächeanfall bremst Hamilton

Monza – Lewis Hamilton zupft noch einmal am Rennanzug, dann macht er sich auf den schweren Weg ins rote Reich seines Gegners. Vier Jahre hat der Formel-1-Weltmeister mit seinem Mercedes-Team das Ferrari-Heimspiel in Monza beherrscht, doch jetzt scheint alles anders.

Die Silberpfeile haben gerade einen Schwächeanfall, der Sebastian Vettels Scuderia beim Großen Preis von Italien zum nächsten Wirkungstreffer im Titelrennen verhelfen könnte. Schon werden die Worte aus der Ferrari-Garage kecker. «Mercedes ist diese Rückschläge nicht gewöhnt. Jetzt ist die Zeit, sie ihnen zu verpassen», sagt Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene.

Noch liegt Hamilton in der WM 17 Punkte vor Vettel, aber die Aura der Überlegenheit hat das Mercedes-Team eingebüßt. «Das Pendel hat ein bisschen in ihre Richtung ausgeschlagen», sagt der britische Titelverteidiger. Weg ist das Grundvertrauen in die Urkraft seines Dienstwagens, der ihn zuletzt im Tempo-Tempel von Monza viermal in Serie auf die Pole Position gebracht hat. Diesmal spricht alles vom Ferrari-Wundermotor. «Es ist einfach die Power. Sie können irgendwie mehr rausholen als wir», sagt Hamilton.

Der Stolz des Branchenführers ist angekratzt. «Schlussendlich waren wir einfach nicht schnell genug, um Vettel in Gefahr zu bringen», räumt Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach der krachenden Niederlage von Spa-Francorchamps in der Vorwoche ein. «Mehr Leistung» müsse seine Mannschaft aus dem Auto kitzeln. «Wir müssen einfach die Ärmel hochkrempeln», mahnt der Österreicher.

Verfestigt sich beim 14. der 21 Saisonläufe am Sonntag (15.10 Uhr/RTL) der Eindruck der vergangenen Wochen, geht Mercedes erstmals seit Beginn der Hybridmotoren-Ära 2014 nicht als Favorit in die entscheidende WM-Phase. «Dies ist auf jeden Fall die härteste Saison und sie wird noch härter werden», sagt Hamilton.

Rücksicht kann er von Rivale Vettel nicht erwarten. «In welcher Form sie gerade sind, spielt für uns keine Rolle. Das ist deren Baustelle», sagt der Hesse, der wie Hamilton nach seinem fünften WM-Triumph strebt. «Wir wollen immer die Besten schlagen. Und Mercedes war über Jahre immer am besten», fügt Vettel hinzu.

Das aktuelle Leistungstief trifft Mercedes in einer schwierigen Phase. Ausgerechnet jetzt fehlt dem Rennstall Aufsichtsratschef Niki Lauda als Ratgeber an der Strecke. Der dreimalige Weltmeister, der selbst 1978 und 1984 in Monza triumphierte, erholt sich von einer Lungentransplantation. «Es ist so, als hätte man mir einen Fuß abgeschnitten», sagt Teamchef Wolff über Laudas Einfluss. Auch für Hamilton war der 69 Jahre alte Österreicher in den vergangenen Jahren ein wichtiger Vertrauter. Ob und wann Lauda ins Fahrerlager zurückkehrt, ist derzeit völlig offen.

Im Entwicklungswettlauf mit Ferrari bleibt Mercedes nur wenig Zeit, die Probleme zu lösen. Mehr PS, bessere Beschleunigung aus langsamen Kurven, schonenderer Umgang mit den Reifen – die Wunschliste an die Ingenieure vor den acht verbleibenden Saisonläufen ist lang, vielleicht zu lang. «Ich werde versuchen, in Monza noch mehr aus dem Auto herauszuquetschen», verspricht Hamilton. Ein lange ungekanntes Gefühl des Zweifels nimmt der 33-Jährige mit auf diese Fahrt.


(dpa)

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